Bedřich Smetana

Zwei Witwen

Dvĕ vdovy

 

Komische Oper in zwei Akten von Emanuel Züngl
nach Jean Pierre Felicien Mallefille Les Deux Veuves (1874 Prag)
Funkfassung von Kurt Honolka

Rundfunk-Studioproduktion des Südfunks Stuttgart
r. 1955

Leitung: Alfons Rischner

 

Karoline, eine junge Witwe Trude Eipperle
Agnes, ihre Schwester, ebenfalls Witwe Hetty Plümacher
Ladislav Podklajskij, Gutsbesitzer Christo Bajew
Mumlal, Forstaufseher Frithjof Sentpaul

 

Tomik, Lidka, Landleute:
Südfunk-Chor & Südfunk-Sinfonieorchester

 


 

Die Handlung

 

Ort und Zeit: Auf einem Schloss in Böhmen zur Biedermeierzeit

 

Erster Akt

 

Auf dem Schloss wird Kirchweih gefeiert. Die Schwestern Karoline und Agnes, beide jung verwitwet, sind sehr verschiedene Temperamente. Karoline, als die ältere zugleich Gutsherrin, freut sich ihrer Freiheit und Unabhängigkeit.

Doch Agnes kann sich noch gar nicht mit dem Witwenstand befreunden. Sie fühlt sich von einem Verehrer, dem Gutsherren Ladislav, bedrängt. Deshalb ist sie zu Besuch bei Karoline aufs Land gekommen. Der verliebte Ladislav muss sich ihr mittels einer List nähern: Er wildert im Wald des Schlosses. Der Heger Mumlal entdeckt das verbotene Tun des Wilderers. Im Auftrag der Schlossherrin wird dieser verhaftet. Karoline erspürt rasch Ladislavs Gefühle für Agnes. Sie verurteilt ihn zu einem Tag Arrest in ihrem Schloss. Ladislav akzeptiert die höchst kommode Strafe gern. Agnes kann ihren Protest dagegen nicht durchsetzen. Am Ende des Aktes besingen die Landsleute um das junge Paar Lidka und Tomík die Macht der Liebe.

 

 

Zweiter Akt

 

Im Arrest singt Ladislav Liebeslieder. Die irritierte Agnes muss Klarheit über ihre Gefühle gewinnen. Karolines scherzhafte Anspielungen und sogar ein Liebesgeständnis von Ladislav können sie aber nicht dazu bringen, seinem Werben nachzugeben. Da beginnt Karoline, mit Ladislav zu flirten.

Das erweckt in Agnes Eifersucht. Sie beschließt endlich, Ladislav ihre Liebe einzugestehen. Währenddessen entwickelt der Heger Mumlal Neid gegenüber der glücklichen Zweisamkeit von Lidka und Tomík, die sich aber nicht von ihm beeinflussen lassen. Als Agnes zum Kirchweihfest in ihrem schönsten Ballkleid auftritt, sieht sie, wie sich Ladislav Karoline zu Füßen wirft. Er kann die peinliche Situation nicht aufklären. So ist Agnes tief verletzt. Mit schwesterlicher Großmut verzichtet sie Karoline zuliebe auf den vermeintlich abtrünnig gewordenen Ladislav. Karoline klärt ihr Intrigenspiel auf — es habe nur dazu gedient, die Schwester von ihrem törichten Vorsatz, nicht heiraten zu wollen, abzubringen. Die Liebenden fallen einander in die Arme. Noch am Festtag verloben sich beide. Mumlal spricht das Fazit: Gegen zwei Witwen sei man verloren, und der Liebe entrinnen zu wollen, bleibe eitle Mühe.

 


Ein kleines Juwel
böhmischen Comique-Schaffens

 

Bedřich Smetana war 1868 auf das seinerzeit populäre kleine Vaudeville von Mallefille gestoßen, als dieses im Tschechischen Theater von Prag in Emanuel Züngls Übertragung aufgeführt wurde. Er griff gern auf das so biedere wie witzige kleine Intrigenspiel zu. Züngl formte ihm eine in Böhmen spielende Kompaktfassung als Opernlibretto. Smetana komponierte die Oper zügig zwischen Juni 1873 und Januar 1874. Die Uraufführung fand umgehend, am 27. März 1874, unter Smetanas persönlicher Leitung am Prager Interimstheater statt. Der Erfolg war gut, doch setzte keine weitere Verbreitung ein. So entschloss sich der Komponist zu einer Umarbeitung ohne Sprechdialog mit orchesterbegleiteten Rezitativen. Die Neufassung kam am 20. Oktober 1874 heraus und hatte durchschlagenden, in Tschechien bis heute anhaltenden Erfolg. Smetana konnte sein Werk in dieser Fassung allerdings nicht mehr hören, er war inzwischen völlig ertaubt.

 

 

Des Meisters Rückgriff zur Spieloper

 

Nach großen hochdramatisch-pathetischen Musikdramen wie Dalibor und Libuše kam Bedřich Smetana wieder auf den von ihm selbst maßgeblich geprägten Typus der tschechischen Volksoper zurück, den er mit der Verkauften Braut in bleibendem Wert und Rang in der Musikgeschichte etabliert hatte: mit zentralem Einsatz des Chors, mitreißenden Tanzrhythmen, zündendem Schwung und Feuer, dankbaren melosgesättigten Gesangspartien — insgesamt in mittlerem Gewicht und Anforderungsgrad bestgeeignet für solide Aufführungen auch auf kleinen und mittleren Bühnen. Der volksnahe Charakter des Werks wird durch die Handlung im aristokratischen Milieu nicht gemindert; das bewirkt die mit folkloristischen Themen und ausgelassener vital-spritziger Atmosphäre aufgeladene Komposition.

 

Der Aufbau der Partitur ist in ariose, liedhafte und chorische Einzelstücke (Musiknummern) gegliedert. In der Erstfassung waren sie durch Sprechdialog getrennt, also dem Vorbild der Opéra comique nachgebildet. Die bis heute gültige Zweitversion macht das Werk mit auskomponierten Rezitativen zu einer in sich geschlossenen Spieloper, im Genre ähnlich den Komischen Opern von Lortzing, Nicolai, Flotow. Die Musik selbst vermittelt ein Klangerlebnis, wie es für den großen Tonkünstler Smetana (und nach ihm Antonin Dvořák) typisch ist: vielfarbig, rhythmisch strukturiert und akzentuiert, brillant und virtuos durchgeführt, Lebensfreude atmend, doch auch Ironie vermittelnd — böhmische Brio-Melodik plus feine Charakterzeichnung. Ein kleines Meisterwerk, das auf deutschen Bühnen allzu wenig präsent war und ist.

 

 

Spannkraft und Humor in Farbenfülle

 

Die konzise Bearbeitung von dem kenntnisreichen Opernpraktiker, Librettisten und Kenner der tschechisch-slawischen Musik Kurt Honolka lässt die Komposition nahezu unangetastet, rafft nur behutsam einzelne Reprisen und Auswucherungen (so nimmt sie das Domestikenpaar Lidka und Tonik zurück, das nun von Chorsolisten vermittelt werden kann) — und steigert damit den unterhaltsamen Effekt der Handlung wie auch die Spannkraft der Musik deutlich.

 

Die Einspielung des damaligen Südfunks unter dem alleskönnenden und entdeckungsfreudigen Staatskapellmeister Alfons Rischner dokumentiert wieder ein Stückchen Nachkriegs-Opernkultur aus einer profilierten Rundfunkstation — parallel zu anderen Anstalten und im rasch wachsenden Bestand informativer wie interpretativer Leistungen für breite Hörerschichten, im Zeichen einer kulturellen Praxis, von der sich’s heute nur mehr träumen lässt. Die vier beteiligten Sänger sind aus dem großen, bald legendär gewordenen Ensemble der Württembergischen Staatsoper bis heute Sammlern gut bekannt.

An der Spitze die universelle Repräsentantin deutscher lyrischer wie dramatischer Gesangskultur der 1930er bis 1970er Jahre: Trude Eipperle, in ihrer sympathischen Identität unverwechselbar. Allein ihretwegen lohnt die Wiederveröffentlichung dieser Radio-Rarität, eines Juwels aus einer verlorenen Ära.

 


 

Unsere Wiederentdeckung erscheint beim Hamburger Archiv erstmals auf CD. Sie wird ergänzt durch die Ausgrabung einer Szenenfolge aus Bedřich Smetanas in Deutschland erfolgreichster und beliebtester Volksoper Die verkaufte Braut (Prodaná nevěsta) von 1866. Auszüge aus dieser Produktion des Bayerischen Rundfunks mit prominenten Sängerstimmen der 1950er (zeitnah bei der Einspielung der Zwei Witwen) waren seinerzeit bei DG als frühe Opernquerschnitt-LP erschienen. Einzeltitel daraus findet man in Recitals wieder. Hier ist die gesamte Einspielung — eine ideale Ergänzung zu der in Stil, Technik und Farben verwandten franko-böhmischen Schlosskomödie.

 

 

Zeugen deutscher Radiokultur

 

Alfons Rischner (∗ 1899 ‑ † 1990) stammte aus Neukirch (Kettnang/Bodensee). Nach umfassender musikalischer Ausbildung erlernte er die Praxis des Dirigierens als Eleve beim damaligen Münchner Generalmusikdirektor, dem Jahrhundert-Dirigenten Bruno Walter. Mit dieser Referenz gelangte er in den 1920er Jahren als Repertoiredirigent an bedeutende deutsche Opernhäuser: Nürnberg, Karlsruhe, Essen. Den in allen Repertoirebereichen erfahrenen Opernkenner engagierten dann 1937 die Württembergischen Staatstheater. Dort avancierte er bald zum Staatskapellmeister und damit zum ersten Operndirigenten neben dem GMD Herbert Albert. Er übernahm nicht nur weite Teile des Standardspielplans mit deutschen, italienischen, französischen und slawischen Werken (darunter dem ganzen Verdi und Puccini), sondern auch das interessante und das zeitgenössische Repertoire, das er mit Engagement und Finderneugier erfüllte. Beispiele für seine Universalität und seinen Pioniergeist waren die Erstaufführungen von Graeners Friedemann Bach und Schulzes Schwarzer Peter, zweier Erfolgsstücke im Reichsgebiet der 1930/40er Jahre, dazu Marschners Hans Heiling, Thomas’ Mignon, Wolf-Ferraris Vier Grobiane oder Rezniceks Spiel oder Ernst, weiter Sutermeisters Romeo und Julia, als besondere Wiederentdeckung Otto Nicolais Mariana.

 

Mit Beginn der Ära Schäfer-Leitner 1950 gab es am Staatstheater ein größeres Revirement: Der eher introvertierte Melancholiker Rischner musste dem rheinischen Sanguiniker Josef Dünnwald weichen. Er wechselte zum damaligen Südfunk, wo er mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart eine fast zwei Jahrzehnte dauernde fruchtbare Verbindung einging. In dieser Zeit entstanden Opern-Gesamt- und Ausschnittproduktionen in breiter Vielfalt, dazu Hunderte von Soloaufnahmen mit wichtigen Sängern dieser Zeit. Rischner war neben dem Orchesterchef Hans Müller-Kray der maßgebliche Operndirigent der ARD-Anstalt; seine Tondokumente erscheinen noch im Programm des heutigen SWR. Seine Solidität, Universalität und Entdeckerlust stehen beispielhaft für einen Kapellmeistertypus, der kaum mehr existiert und darum legendär geworden ist.

 

Trude Eipperle (∗ 1908 ‑ † 1997) war die führende Sopranistin der Württembergischen Staatsoper und zugleich gefeierter Gast großer deutscher und europäischer Opernhäuser in den 1930er bis 1960er Jahren. Sie erfüllte ein breites Repertoire lyrischer, jugendlicher und dramatischer Sopranpartien aus allen Phasen und Bereichen der Opernliteratur. Eipperle studierte an der Musikhochschule Stuttgart, absolvierte dann ein Volontariat am Stuttgarter Opernhaus. Ihre Bühnenlaufbahn begann 1929 am Staatstheater Wiesbaden. In den 1930/40ern war sie an den Opernhäusern von Stuttgart, München, Nürnberg und Köln engagiert. Ab 1951 wechselte sie fest ins gerade entstehende Ensemble der Stuttgarter Ära Schäfer-Leitner. Ungeachtet ständiger Gastspiele an europäischen Opernbühnen blieb sie diesem Haus bis zu ihrem Bühnenabschied 1965 treu. Sie wurde zur Württembergischen Kammersängerin und zum Ehrenmitglied der Staatstheater ernannt. Bei den Salzburger Festspielen trat sie 1942 als Zdenka in Arabella, bei den Bayreuther Festspielen 1952 als Eva in den Meistersingern auf. Neben regulären Studioaufnahmen für DG konnte sie zahlreiche Radioproduktionen mitgestalten. Berühmt sind die Tondokumente ihrer Wagner-Gestalten Elisabeth und Eva, vielbeachtet ihr Portrait der Titelpartie in Lortzings Undine und ihre Myrtocle in einer SF-Produktion von d’Alberts Die toten Augen. Sie wurde aber auch in Partien von Mozart (Contessa, Anna, Pamina), Verdi (Elisabetta, Desdemona), Puccini (Mimi, Cho-Cho-San, Liù) und Strauss (Marschallin, Kaiserin, Arabella) gefeiert. Ihre Vielseitigkeit, Musikalität, stimmliche Unverwechselbarkeit und sängerische Souveränität stehen beispielhaft für eine ganze Ära deutscher Musiktradition.

 

Hetty Plümacher (∗ 1919 ‑ † 2005) war Rheinländerin aus Solingen, studierte an der Musikhochschule Köln und debütierte 1943 am Deutschen Theater in Oslo. Nach mehreren Kurzengagements kam sie 1946 an die Württembergische Staatsoper, der sie 30 Jahre lang die Treue hielt. Sie entwickelte sich vom Spiel-Alt zur universellen Mezzosopranistin im lyrischen und Charakterfach aller Genres und Stile, mit Rollen in Werken jeder Richtung von Monteverdi bis Egk (u. a. in der Uraufführung von dessen Revisor). Sie gastierte in ganz Europa, so an den Staatsopern Wien und München, bei den Festspielen von Bayreuth (1953 bis 1957), Salzburg (1959 bis 1965) und Schwetzingen (1957 und 1966). Ihr Spektrum war nahezu grenzenlos, mit Schwerpunkten bei Mozart und Richard Strauss. Vor allem als burschikos-gewitzte Schelmin in der deutschen Spieloper hatte sie lange kaum Konkurrenz. Sie war auch eine gefragte Konzertsängerin mit internationalen Auftritten in Passionen von Bach und Oratorien von Händel über Mendelssohn bis zu Verdis Messa da Requiem. Ab Mitte der 1970er wirkte sie als Professorin am Salzburger Mozarteum.

 

Christo Bajew (∗ 1922 ‑ † 1983) stammte aus Nord-Bulgarien, konnte ein Kleinstadt-Gymnasium besuchen, studierte dann Theologie, sang währenddessen auch im Kirchenchor seines Heimatorts Dobromirka. Bei einem Chorkonzert übernahm er ein Solo. Dabei wurde seine kräftige Tenorstimme entdeckt. Der Filmregisseur Graf Molny, leitend bei der Berliner Tobis tätig, veranlasste ihn, nach Deutschland zu kommen. An der Musikhochschule Dresden absolvierte Bajew ein umfassendes Musik- und Gesangsstudium, erhielt ein Anfänger-Engagement an der Dresdner Semper-Oper, dem bald Auftritte in größeren Partien in Wiesbaden und München folgten. Der Sänger nahm seinen Wohnsitz im Rheinland und ging 1949 ein langfristiges Festengagement am Opernhaus Koblenz ein. Von dort aus erschien er als Gast in einem weitgespannten Repertoire an vielen Bühnen Westdeutschlands. Bald konnte er sich als einer der führenden und populären Rundfunktenöre etablieren, beim Südfunk in eher dramatischen Opernpartien, beim WDR, NDR, HR zumeist als Operettenheld in über zwei Dutzend Gesamteinspielungen. Bajew war wegen seiner untersetzten, übergewichtigen Gestalt nicht das Bühnenideal eines Tenorliebhabers, seine Stimme hingegen hatte den Charakter eines echten Spinto. So reichte sein Funkrepertoire vom Lirico über das Zwischenfach bis zum Charaktertenor — nicht nur in der leichten Muse, sondern auch im italienischen, französischen, slawischen Repertoire. Es gibt Radioaufnahmen vom Radames in Aida bis zum Budoja in Palestrina. Beim deutschen Hörerpublikum ist Bajew aber vorrangig als Operettensänger in Erinnerung.

 

Frithjof Sentpaul (∗ 1908 ‑ † 1993) war Schüler des berühmten Julius von Raatz-Brockmann. Er debütierte 1937 in Liegnitz/Schlesien, kam über Krefeld 1941 an die Stuttgarter Oper. Nach Kriegsende ging er eine Verpflichtung ans Opernhaus Bielefeld ein, kehrte aber 1954 ans Stuttgarter Haus zurück, war dort bis zu seinem Bühnenabschied 1974 Ensemblemitglied, mit einem Gastvertrag auch am Opernhaus Frankfurt/M. tätig. Er war ein vielfältig eingesetzter Darsteller lyrischer Baritonpartien wie Graf in Mozarts Figaro, Fluth in Nicolais Lustigen Weibern, Verdis Luna und René, Lortzings Liebenau und Eberbach, Puccinis Schaunard und Sharpless, dazu vieler mittlerer Rollen zwischen Bariton und Spielbass quer durchs ganze Repertoire, Operetten nicht ausgeschlossen, später vor allem als Meister skurriler und darstellungsintensiver Gestalten in Comprimario-Aufgaben. Beim Hessischen und Süddeutschen Rundfunk wirkte er oft in Opern- und Konzertproduktionen mit.

 

KUS

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© Klaus Ulrich Spiegel